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VII. Quartiers-Forum: „Kultursensible Pflege“

 

 

Das 6. Quartiers-Forum zum Thema „Alter und Migration“ hatte deutlich gemacht, dass auch in Eschweiler als Stadt mit einer langen Industriegeschichte und einer seit Jahrzehnten währenden Zuwanderung die medizinische, soziale und pflegerische Versorgung der wachsenden Zahl von älteren Menschen mit Migrationsgeschichte in den kommenden Jahren stärker als Aufgabenbereich in den Fokus rücken wird.

 

Bereits zu Beginn des neuen Jahrzehnts hatte sich die Stadt Eschweiler daher auch am Projekt „XENOS-ZIRQEL“ beteiligt, das sich mit der Frage beschäftigte, welche Versorgungsbedarfe – ambulant und stationär - bei älteren Menschen mit Migrationsgeschichte und deren Angehörigen aktuell und zukünftig vor Ort existieren.

 

Die auch im Projekt „XENOS-ZIRQEL“ deutlich gewordene tendenzielle Abkehr vom „alten Pflegeversprechen“ der jüngeren Bevölkerung vor allem mit türkischem Migrationshintergrund angesichts einer zunehmenden Integration von Frauen in den Erwerbsarbeitsmarkt mit seinen zeitlichen Einschränkungen für Pflege und Versorgung außerhalb der engen Kernfamilie (Mutter, Vater, Kind/er), lässt für die Zukunft erwarten, dass die Nachfrage nach pflegerischen Dienstleistungen und generell Versorgungsangeboten für diese Bevölkerungsgruppe wachsen werden.

 

So war es konsequent, in einem weiteren Quartiers-Forum in Eschweiler das Thema „Kultursensible Pflege“ aufzugreifen und die im vorangegangenen Forum  begonnene Diskussion vor allem auch mit Zuwanderinnen und Zuwanderern fortzusetzen. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Leiter des Amtes für Soziales, Senioren und Integration der Stadt Eschweiler, der auch Integrationsbeauftragter der Stadt ist, führte Cem Gökce, Quartiersmanager im Projekt „Altengerechtes Quartier Eschweiler-ZENTRUM“ mit Verweis auf die bisherigen Diskussionen im vorangegangenen Quartiers-Forum in das Thema ein.

 

Ein wesentliches Ziel dieses 7. Quartiers-Forum bestand demnach in der Fortsetzung des Dialogs zwischen Akteuren im Bereich der Versorgung von älteren Menschen in Eschweiler und der Zielgruppe der älteren Menschen mit Migrationshintergrund selbst, um noch deutlicher als bisher ihre Erwartungen und Anforderungen an eine kompetente und bedarfsgerechte Versorgung  kennenzulernen und kooperativ darauf bezogene Strukturen und Prozesse vor Ort mit wichtigen Akteuren entwickeln zu können. Dazu hatte das Quartiersmanagement Erkan Zorlu zu einem Impulsvortrag in das 7. Quartiers-Forum eingeladen. Erkan Zorlu, Mitglied des Vorstands des Landesintegrationsrates NRW, zeigte auf, wie sich die Bedingungen für die Versorgung älterer Menschen mit Zuwanderungsgeschichte geändert haben und betonte, dass es nicht nur die zumeist in Deutschland geborenen Angehörigen der 2. und 3. Zuwanderergeneration mittlerweile auch im Alter ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sondern dass dies verstärkt auch für die zumeist als „Gastarbeiter“ nach Deutschland zugewanderten Arbeitsmigranten der 1. Generation vor allem aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien zutrifft.  Diese Menschen haben hier ihren Lebensmittelpunkt, ihre Kinder und Enkelkinder leben hier, emotionale Bindungen bestehen sowohl zur neuen wie zur alten Heimat. Sie können und wollen Deutschland nicht verlassen.

 Folglich ergeben sich immer mehr Fragen, die durch die Migration und durch die auftretende innere Zerrissenheit zwischen dem Heimatland und dem Migrationsland verursacht werden“, so Zorlus Bestandsaufnahme der Lebenswirklichkeit älterer Migrantinnen und Migranten in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts in Eschweiler. Mit Blick auf die Lebenslage älterer Zuwanderinnen und Zuwanderer gilt es nach Zorlu zu konstatieren, dass sie oft aufgrund häufigerer Arbeitslosigkeit und der Schwere der Arbeit über deutlich geringere Rentenansprüche als deutsche Kolleginnen und Kollegen verfügen. Diese Probleme habe die  Armutsforschung immer wieder deutlich belegt, so Zorlus in seiner Situationsanalyse weiter, so dass die Altersarmut unter den Migrantinnen und Migranten der ersten Generation dreimal so hoch ist wie ihre Altersgenossen ohne Migrationshintergrund. Besonders betroffen seien dabei Frauen mit Migrationshintergrund. Die geschlechtsspezifische Benachteiligung beim Einkommen schlägt demnach im Rentenalter umso intensiver durch. Aber eben auch die inzwischen veränderte Familienstruktur durch die zunehmende Integration von Männern und Frauen in die deutsche Arbeitsgesellschaft stellt  das traditionelle Versorgungs- und Pflegeversprechen in Zuwandererfamilien mehr und mehr in Frage. Erkan Zorlu folgert daraus,

  • dass die kulturellen Kompetenzen von Menschen mit mehreren kulturellen Hintergründen im Bereich der sozialen Versorgung insgesamt stärker genutzt werden sollten, auch um auf diese Weise den für manchen Zuwanderer und manche Zuwanderin immer noch schwierigen Zugang zu diesem System aufgrund geteilter kultureller Bezüge und sprachlicher Kompetenzen zu erleichtern,
     
  • dass auch stationäre Einrichtungen für ältere Menschen verstärkt die pluralen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen von jüngeren Menschen mit Migrationshintergrund für ihre Angebote an die Zielgruppe nutzen sollten.
     

Textfeld:  Dabei wies Zorlu vor allem den Kommunen eine wichtige gestaltende Funktion zu, die es demnach aktiv im Interesse der Zielgruppe zu nutzen und auszufüllen gilt: Um die Lebenssituation der Senioren mit Migrationshintergrund zu verbessern, ist es wichtig, dass Kommunen bei der Entwicklung ihres interkulturellen Konzeptes dem demographischen Wandel Rechnung tragen und ihre Angebote auf die Relevanz für die Migranten im Seniorenalter überprüfen und bei Bedarf erweitern. Vor allem der interkulturellen Orientierung der Regeldienste kommt eine große Bedeutung zu, um die Betroffenen sachgerecht und kompetent zu beraten. Aus dem Grund müssen die Regeldienste neben der interkulturellen Schulung ihres Personalbestandes auch mehrsprachige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den für diese Personengruppe relevanten Bereichen einsetzen.“

 

 

 

 

   Blick in das Podium beim 7. Quartiers-Forum

Zorlus Situationsanalyse und auch sein Appell an die Kommunen fand dann regen Widerhall in der sich anschließenden Podiumsdiskussion, zu der Quartiersmanager Cem Gökce Stephan Löhmann (Stellvertretender Vorsitzender des Sozial- und Seniorenausschusses der Stadt Eschweiler und hauptberuflich in der Pflegeberatung der StädteRegion Aachen aktiv), Thomas Hagen (Geschäftsleitung des Pflegedienstes Hagen in Eschweiler), Peter Toporowski (Seniorenbeauftragter der Stadt Eschweiler), Nora Hamidi (Vorsitzende des Integrationsrates bei der Stadt Eschweiler), Dennis Hintze und Carola Kischlat (ProSeniore Residenz Eschweiler) sowie Dr. Wolfgang Joußen (Wissenschaftliche Begleitung) begrüßte. Konsens bestand in der Runde, dass besondere Anforderungen im stationären und ambulanten Versorgungsbereich bei älteren Menschen mit Zuwanderungshintergrund existieren. Stephan Löhmann wies darauf hin, dass in der StädteRegion insgesamt die Beratungsangebote für diese Zielgruppe deutlich intensiviert und auch mehrsprachliches Beratungsmaterial für eine bessere Erreichbarkeit produziert wurden. Auch die Zusammenarbeit mit den Vereinen und Vertretungseinrichtungen wurden ausgeweitet. „Nicht zuletzt“, so Löhmann, „sind gerade hier in Eschweiler – so auch wieder mit dem heutigen Forum – zahlreiche Projekte und Initiativen auf den Weg gebracht worden, die im direkten Dialog auf eine bedarfsgerechte Ausbildung des Versorgungsangebotes in unserer Stadt abzielen.“ Dies bestätigte auch die Vorsitzende des Integrationsrates. Für sie ist wichtig zu sehen, dass vor allem die 2. und 3. Generation der Zugewanderten, die zumeist in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, in den kommenden Jahren kultursensible Versorgungsleistungen für ältere Menschen nachfragen wird, während die erste Generation durchaus noch ihre Versorgung im Alter im familiären Umfeld erfahre. Für Frau Hamidi ist es aber auch besonders wichtig, noch vorhandene Hemmschwellen beim Zugang zu  Leistungen im Gesundheitssystem insgesamt, aber eben auch im Bereich Pflege abzubauen. Dies gelingt nach ihrer auch beruflichen Erfahrung im Gesundheitssystem vor allem dann, wenn durch Sprache und die Berücksichtigung kultureller Besonderheiten ein „Vertrautheits-„ und „Vertrauensverhältnis“ zwischen Leistungserbringer und Patient/Klient geschaffen werden kann.

Das derzeit weder im ambulanten noch im stationären Bereich die Nachfrage nach Leistungen zur Versorgung von älteren Menschen mit Migrationshintergrund besonders ausgeprägt sind, davon berichteten übereinstimmend Thomas Hagen als Vertreter eines mobilen Pflegedienstes in der Stadt Stolberg und Dennis Hintze und Carola Kischlat als Repräsentanten einer stationären Versorgungseinrichtung für Ältere in Eschweiler. „Trotzdem“ so Thomas Hagen weiter, „beschäftigen wir in der ambulanten Pflege schon seit Jahren Menschen mit Migrationsgeschichte, da wir ihre interkulturellen und sprachlichen Kompetenzen sehr schätzen, was uns aber generell im Pflegealltag sehr unterstützt“. Auch Dennis Hintze und Carola Kischlat sehen für ihre stationäre Einrichtung in Eschweiler derzeit noch nicht die große Nachfrage nach besonderen Pflege- und Versorgungsangeboten speziell für Menschen mit Migrationshintergrund. Dennoch ist die Einrichtung nach ihren Erfahrungen auch derzeit schon in der Lage, im Einzelfall besondere Bedarfe insoweit abdecken zu können. Dazu trägt auch in dieser Einrichtung die Beschäftigung von Menschen mit interkulturellen Kompetenzen derzeit bei.

Für Dr. Wolfgang Joussen schließlich stellte sich vor allem die Frage, ob die derzeit vorhandenen Beratungseinrichtungen und die Anbieter von Versorgungsleistungen für ältere Menschen die hier in den Fokus gerückte Zielgruppe auch hinreichend erreichen. Kritisch sah Joussen dabei auch die Rolle der Migrantenorganisationen und Integrationsräte, die eben keine große  Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund angesichts eines geringen Organisationsgrades repräsentieren. Wichtig ist daher nach seinen Erfahrungen, zusätzlich Bedarfe und Angebote in Einrichtungen und Settings intensiv zu diskutieren und „zu bewerben“, die über einen sehr hohen Zugang und ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Zielgruppe besitzen. „Über Alter und Pflege reden müssen wir eben daher vor allem auch in den Kitas und Schulen“ so Joussen. „Genau hier sind die jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu treffen und ansprechbar, die nicht nur Kinder, sondern eben auch Eltern haben, die in Zukunft verstärkt das Versorgungs- und Betreuungsangebot für Ältere in Anspruch nehmen werden“, forderte Joussen. Interkulturelle Kompetenzen sind nach seinen Erfahrungen auch nicht nur deshalb besonders wichtig, weil Deutschland eben ein Einwanderungsland mit einem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund geworden ist. „Wenn wir uns den demografischen Wandel anschauen, dann muss man immer mitdenken, dass dies eben auch ein sozialer und kultureller Wandel ist, der auch dazu führt, das die frühere „Seniorengeneration“ heute eher eine sehr heterogene Gruppe von älteren und alten Menschen ist, für die keineswegs „ein“ Angebot passgenau ist.“ Interkulturalität muss demnach als Haltung verstanden werden, denn als ein separates Angebot für Menschen mit muslimischen, christlichen oder anderen Religionsbezügen. Mit dieser Prämisse – und insoweit bestand Konsens auf dem Podium – wird vor allem die 2. und 3. Generation von Zuwanderinnen und Zuwanderern trotz heute noch zum Teil vorhandener Zugangshürden für allem für ältere Angehörige der 1. Zuwanderergeneration ihren Weg in das Versorgungssystem für ältere Menschen finden. Gleichzeitig wird aber auch auf der Angebotsseite kulturelle Verschiedenheit ihre Antwort im Leistungsspektrum des ambulanten und stationären Bereichs finden. Auch für den Seniorenbeauftragten der Stadt Eschweiler Peter Toporowski ist es ganz wichtig, die wachsende Unterschiedlichkeit der Nachfragenden nicht als Problem, sondern als zu lösende Aufgabe zu betrachten. Mit den vielfältigen Aktivitäten und Ansätze in Eschweiler bei der Optimierung des Versorgungsangebotes für alte und älter werdende Menschen sieht Toporowski Eschweiler auf dem Weg in die „Altersvielfalt“ aktuell und auch für die Zukunft gut aufgestellt. Eine Sichtweise, die auch in den anschließenden Beiträgen aus dem Auditorium weitgehend bestätigt wurde, wenngleich insoweit aus der Sicht von Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch noch wichtige Schritte auf diesem Weg zu gehen sind.

Dr. Wolfgang Joussen