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VI. Quartiers-Forum: „Alter und Migration im Quartier“

 

Als Stadt mit einer langen Industriegeschichte war auch Eschweiler immer wieder das Ziel von Arbeitsmigranten. Was in dieser Steinkohlestadt bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts mit Arbeitskräften aus Italien und später aus Polen begonnen hatte, fand nach dem 2. Weltkrieg seine Fortsetzung im Zuge der organisierten „Gastarbeiter“-Zuwanderung. In den letzten Jahrzehnten kamen dann neben Zuwanderinnen und Zuwanderern aus Polen und Russland zahlreiche Menschen auch aus den Kriegs- und Krisenregionen Afrikas und Asiens in die Stadt. Herrschte zunächst noch bei den sog. Gastarbeitern die Vorstellung, dass sie alleine lebend nach ein bis zwei Jahren Arbeit vor allem in der Kohle- und Stahlindustrie zurück in ihre Heimatländer gehen würden, so wurde schnell deutlich, dass diese Zuwanderer ebenso wie viele Neuzugewanderte in der Folge in Eschweiler ihre neue Heimat gefunden hatten und auf Dauer in der Stadt meist mit ihren Familien bleiben würden. Heute leben daher auch in Eschweiler und hier vor allem in den Zentrumsquartieren zahlreiche ältere Zuwanderinnen und Zuwanderer.

Jürgen Rombach und Peter Toporowski eröffnen das 6. Quartiersforum

Das 6. Quartiersforum am 24. April 2018 beschäftigte sich daher mit dem Thema „Migration und Alter“. Gemeinsam organisiert vom Quartiersmanagement und dem Integrationsrat der Stadt Eschweiler lud dieses Forum die Bewohnerinnen und Bewohner mit und ohne Migrationshintergrund ein, sich über ihre Vorstellungen und Anforderungen an ein altengerechtes Quartier und eine adäquate Versorgungsstruktur auszutauschen. Den Machern des Quartiers-Forums war wichtig, dass auch die älteren Bewohnerinnen und Bewohner mit Migrationshintergrund im Quartier verstärkt ihre Vorstellungen und Bedarfe für ein altengerechtes Quartier in den Optimierungsprozess vor Ort einbringen.

Nach einer Einführung durch Jürgen Rombach, den Leiter des Amtes für Soziales, Senioren und Integration der Stadt Eschweiler, erläuterte der Seniorenbeauftragte der Stadt Peter Toporowski die bisherige Arbeit im Projekt, die maßgeblich von den Bewohnerinnen und Bewohnern in verschiedenen Fokusgruppen mitgestaltet wurde. So hat die Fokusgruppe „Wohnen und Mobilität“ inzwischen ein ausführliches Konzept für ein Wohnprojekt für ältere Menschen erarbeitet, das zurzeit mit Grundstückseigentümern und Investoren auf seine Umsetzungsfähigkeit hin diskutiert wird. Auch vor diesem Hintergrund stellt sich für den Seniorenbeauftragten auch die Frage, welche Anforderungen an die Wohnungsversorgung, Pflege und Betreuung im Alter von Menschen mit Migrationshintergrund aus unterschiedlichen Nationen und Kulturkreisen gestellt werden und wie dem in einem altengerechten Quartier Rechnung getragen werden kann.

Alle Teilnehmenden des 6. Quartiers-Forums erhielten daher Gelegenheit, ihre individuellen Anforderungen an ein solches Quartier vorzustellen. Erfreulicherweise beteiligten sich an diesem Quartiers-Forum auch Bewohnerinnen und Bewohner mit Migrationshintergrund. Deutlich wurde, dass unabhängig vom Status „mit“ oder „ohne Migrationshintergrund“ in den Alterskonzepten der Teilnehmenden folgende Wünsche und Bedarfe dominieren:

Es ist wichtig, dass man im Alter mobil bleibt und eine entsprechende verkehrstechnische Infrastruktur vorhanden ist, die es auch älteren und alten Menschen erlaubt, trotz manchmal vorhandener Alltagseinschränkungen weiterhin aktiv am sozialen Leben teilzunehmen.

Anders als derzeit vorhanden werden mehr altengerechte Wohnmöglichkeiten – kleinere barrierearme/barrierefreie bezahlbare Wohnungen mit einer guten Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr und das städtische Versorgungssystem – im Zentrumsbereich der Stadt benötigt. Mit dieser Wohnraumversorgung wäre es möglich, für Eschweilers ältere Menschen eine Situation zu schaffen, die mit „optimal versorgt, betreut und mobil“ überschrieben werden könnte. Wohnen im Alter kann aus Sicht vieler Teilnehmender aber auch Mehrgenerationenwohnen bedeuten.

Als besonders wichtig wurde von den meisten Teilnehmenden gewertet, dass sie auch im Alter in ihren „eigenen vier Wänden“ – also möglichst nicht in einem Seniorenwohn- oder -pflegeheim alt werden können. Damit dieses Altwerden Zuhause möglich wird, ist es auch ihrer Sicht erforderlich, bessere und auch mehr verschiedene Betreuungsangebote für ältere Menschen im Alltag jenseits der Pflege zu schaffen, da nicht alle älteren Menschen pflegebedürftig sind, aber dennoch Bedarf an Alltagsunterstützung haben.

 

Vorstellung des individuellen Alterskonzepts kulturell geprägt, aber meist mit gemeinsamen Anforderungen
und Wünschen für das Altwerden in Eschweiler.

Zu den Voraussetzungen für das Alt werden in den „eigenen vier Wänden“ gehört nach Auffassung vieler Teilnehmenden auch, dass sie weiter am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen können, auch wenn dies durch Alltags- und Mobilitätseinschränkungen erschwert ist. Viele Teilnehmende wünschen sich auch mehr kulturelle und Freizeitangebote für ältere und jüngere Menschen gemeinsam, damit Alt und Jung die jeweils vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen zum gegenseitigen Vorteil nutzen können. Dies wäre aus Sicht von Teilnehmenden auch ein wichtiger Beitrag, um einer immer wieder beobachteten Vereinsamung im Alter wirksam zu begegnen. Dieser Wunsch nach „Miteinander“ findet seinen Ausdruck auch in dem vielfach geäußerten Wunsch nach der Schaffung von Wohnraum mit „Altersmischung“.

Vermisst wurde von Teilnehmenden Beratungsinfrastruktur mit kurzen Wegen für ältere Menschen sowie für deren Angehörige. Weniger das Fehlen von Beratungsmöglichkeiten an sich, sondern an deren „Zersplitterung“ entzündete sich Kritik. An die Stelle des vorhandenen Systems wünschten sich viele Teilnehmende daher eine ortsnahe Anlaufstelle für ältere Menschen, die rund um alle Fragen und Probleme des Alt- und Älterwerdens berät. Begrüßt wurde immer wieder, dass im Rahmen des Projektes mit der Beratungsarbeit im Städt. Seniorenzentrum in der Marienstraße bereits ein erster Schritt zu einer solchen Anlaufstelle geschaffen wurde, die später dem gewünschten „one-stop-Beratungsangebot“ nahekommen soll.

Dr. Georg Weickert (Pflegedienst SENTAS): „Wir benötigen dringend Mitarbeitende mit
Migrationshintergrund in der ambulanten Pflege älterer Menschen in Eschweiler.“

Geäußert wurde aber auch der Wunsch nach mehr Kultursensibilität in der Angebots- und Versorgungsstruktur für ältere Menschen in Eschweiler und im Quartier Eschweiler-Zentrum. Dieser Wunsch bestand nicht nur bei Teilnehmenden mit Migrationshintergrund, sondern fand angesichts einer vielfältig sozial-kulturell differenzierten „Seniorenschaft“ weitgehend Zustimmung auch bei anderen Bewohnerinnen und Bewohnern. Allerdings machten einige Beiträge von Zuwanderinnen und Zuwanderern auch deutlich, dass für sie Kultursensibilität vorrangig bedeutet, dass ihre religiösen Vorgaben, Bezüge und Traditionen stärkere Beachtung finden sollten – eine Position, die nicht unwidersprochen blieb, da Religion eben von vielen Teilnehmenden nicht als wichtiges Element ihres Alterskonzeptes gesehen wurde. Konsens bestand, dass trotzdem und gerade wegen der wachsenden Heterogenität der „Seniorenschaft“ dem Aspekt „Kultursensibilität“ auch bei der Weiterentwicklung des Quartiers „Zentrum“ in Zukunft stärke Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, jenseits einer einseitig verengten Diskussion über Religion und Religionsausübung im Alter.

Das 6. Quartiersforum machte einmal mehr deutlich, dass nicht nur im Interesse von älteren Menschen mit Migrationshintergrund der kulturellen Dimension und damit auch der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Alterskonzepte bei der konzeptionellen und operativen Weiterentwicklung der „Seniorenarbeit“ im Quartier „Zentrum“ generell mehr Rechnung getragen werden muss. Der von Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Quartiersforum geäußerte Wunsch,  entsprechend den Vorgaben und Traditionen ihrer Religion auch in Eschweiler alt werden zu können und ihre Religion zu leben, stellt in einer solchen kulturellen Perspektive auf die Seniorenarbeit in der Stadt dann keine Sonderung dar, sondern greift die kulturelle Heterogenität der älteren und alten Bevölkerung in der „alten“ Industriestadt Eschweiler auf und entwickelt darauf bezogen ebenfalls vielfältige Angebote und Versorgungsmöglichkeiten jenseits einer ausschließlich religiösen Differenzierung.

„Optimal versorgt, betreut und mobil“: Zentrale Dimensionen der
Alterskonzepte von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund
im Quartier Eschweiler-Zentrum

Angesichts der Diskussionen in diesem 6. Quartiersforum wird nun durch das Quartiersmanagement ein weiteres Forum organisiert, in dem der Frage nachgegangen werden soll, was denn nun konkret „Kultursensibilität“ in verschiedenen Lebensbereichen älterer und alter Menschen im Quartier „Zentrum“ und in Eschweiler bedeutet und welche Folgerungen daraus für die Quartiersarbeit und das „altengerechte Quartier Eschweiler-Zentrum“ gezogen werden müssen.

Dr. Wolfgang Joussen